Die Figuren | |||
Frau Wallies geht nie ohne ihren weißen, alten Kinderwagen aus dem Haus.
Bepackt mit Leiter und vielen Ferngläsern, hält sie schon seit Tagen Ausschau auf
Zollverein. Nach was sie sucht? Sie erwartet die Ankunft der Engel! Denn heute, am 9. Januar zur Eröffnung der Europäischen Kulturhauptstadt 2010 in Essen, wollen sie sich zeigen, hier auf der Schwarzen Seite des Weltkulturerbes Zeche Zollverein. Frau Wallies kennt sie gut: Die Geflügelten, die als Menschen einst hier in den Zechen des Ruhrgebiets arbeiteten, ihre Geschichten, ihre Schicksale über und unter Tage aus den letzten hundert Jahren Bergbau. Sie weiß, wie wichtig König Kohle einst für die Menschen hier war und für ihre Engel immer noch ist. Einen bestimmten Engel sucht sie schon seit vielen Jahren, denjenigen, der eigentlich in ihrem Kinderwagen liegen sollte…Frau Wallies notiert ihre Beobachtungen in einem kleinen Notizbuch und sie gibt den Geflügelten Namen: Schwarzwasch, Hungerkummer oder Streikbereit |
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Hungerkummer ist der Engel mit dem großen Leib Brot in Händen. Er isst und isst, den ganzen Tag. Das war früher anders. Er gehörte zu denjenigen, die im 2 Weltkrieg als Zwangsarbeiter aus dem Osten ins Ruhrgebiet verschleppt wurden, um unter Tage Kohle für den Feind zu hauen. Schlecht ging es ihm, so abgemagert. Ein paar Scheiben Brot, ein Eckchen Margarine und Ersatzkaffee. Die Pferde hatten mehr zu essen. Keinen Tag ausruhen, in der Baracke die Pest. Schlimme Zeit. Hungerkummer ist ein scheuer Engel. Warum kommt er zurück an den Ort der Pein? Damit wir nicht vergessen, was damals geschah. |
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Der Immersorge-Engel mit den schön geschwungenen Flügeln. Sie hüllen ihn ein wie ein Kleid. Ein großes, weißes Taschentuch in den Händen, schüttelt er ängstlich den Kopf. | |||
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Frau Wallies hat auch zwei weibliche Engel entdeckt. Eine trägt Kittelschürze und hat einen riesigen Berg Wäsche im Korb. Das hat sich Frau Wallies ja gedacht,
dass ihr Lieblingsengel Schwarzwasch sich auf der Schwarzen Seite zeigt. Sie war einst Mutter. Immer im Kampf gegen den Kohlenstaub. Wäsche waschen, jeden Samstag. Wäsche schwarz waschen. Bevor sie getrocknet war, hatte die Kohle schon wieder ihren Schleier auf sie gelegt. Was hätte sie dafür geben, wenn man den schwarzen Schleier auf den kleinen Lungen ihrer Kinder einfach hätte wegwaschen können? |
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Auch Herr Zwiebler, ein guter Bekannter von Frau Wallies, ist an diesem Tag ebenfalls auf Engelsuche auf Zollverein. Mit einer verrückten Trichterapparatur steigt er auf seiner Leiter den Engeln entgegen und fängt ihre Stimmen ein. Was sie uns wohl erzählen wollen? Wir müssen nur genau hinhören, nicht nur mit den Ohren, auch mit den Augen… |
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Heilhilf. Er war bereits als er auf der Zeche arbeitete für viele ein Engel. Als Heilgehilfe verarztete er die Kranken und Verletzten und war immer zur Stelle, wenn man ihn brauchte, bei jeder Tages- und Nachtzeit, sein Heil-Köfferchen immer bereit. Keiner kannte die Kumpel besser als er, ihre Krankheiten, ihren Kummer, ihre Sorgen, ihre Geschichten. |
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Flügelfreund ist einer der ältesten Engel
und Frau Wallies amüsiert sich gerne über ihn: ein Engel, der Vögel im Käfig hält... Seit er damals auf die
Zeche kam, hegt und pflegt er seine Vögel. 21 waren es lange, bis im März 1906 der erste starb. Geduldig,
wenn auch nicht ohne Angst, sind sie mit den Kumpeln in die Tiefe gefahren, die die kleinen Käfige an
der Grubendecke befestigten. Wenn der Sauerstoffgehalt der Luft zurückging, wurden die Vögel unruhig.
Die Bergarbeiter wussten, was das bedeutete und stellten sofort
ihre Arbeit ein. Manchmal war die Luft
so dünn,
dass der Kanarienvogel von der Stange fiel.
Ein Vogelleben für den Bergbau. |
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Kofferhoffer. Ein Gastarbeiter aus dem Süden Italiens. La dolce vita in einem kleinen Koffer, Heimat und
Identität. Zwar gab es Sprachschwierigkeiten mit den Kumpeln, dafür publizierten die Zechen GoldeneRegeln für den Umgang mit Gastarbeitern: „Der Südländer will als Persönlichkeit behandelt werden.
Er ist von Natur liebenswürdig und schätzt eine liebenswürdige Umgangsart. Eine kleine Gefälligkeit, zum
Beispiel eine angebotene Zigarette, gewinnt sein Herz im Nu.“ Der Kofferhoffer ist sehr kontaktfreudig
und liebt es, wenn man ihm kleine Geschenke macht, darum hat er auch stets Seil und Körbchen dabei. |
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