Die Figuren
 

Zeigt mir Eure Stadt und ich Euch ihre Engel! Herr Zwiebler sammelt Engelsstimmen. Er gehört zu den renommiertesten Engelstimmen-Forschern unserer Zeit. Mit seinem verrückten Hörtrichterapparat fängt er die Stimmen der Engel ein. Auf seiner großen Leiter steigt er ihnen entgegen. Was sie uns wohl erzählen wollen, heute hier auf dem Odeonsplatz? Wir müssen genau hinhören, nicht nur mit den Ohren auch mit den Augen…
Ferngläser liegen bereit und ein Buch, in das er seine Engel-Entdeckungen mit Namen einträgt: Steinbereit oder Bleibe-Engel. Eines hat er schon herausgefunden, es sind alles Engel, die den Menschen viel zu verdanken haben. Denn es gibt sie tatsächlich, die Engel unter den Menschen!

Der Steinbereit-Engel ist weiblich und liebt Steine. Alle Arten von Steine: Flusssteine, Edelsteine, Kieselsteine; Manchmal hat sie einen großen bunten Stein bei sich. Es ist ihr der wichtigste Stein. Ihre drei Kinder haben ihn damals bemalt als sie im Hospiz im Sterben lag, erst 36 Jahre alt. Ruth hat den Stein damals mitgebracht. Ruth ist eine alte Dame von 90 Jahren. Sie ist Hospizhelferin, bereits über ein Viertel Jahrhundert lang. Sie hat den Hospizverein München mit aufgebaut, der erste in Deutschland. Steinbereit ist ihr sehr dankbar für ihre Begleitung in den letzten Tagen ihres Lebens, ihr warmes Lächeln, ihre stillen Berührungen –  bis zum Ende. Ruth hat vorgeschlagen, ihre Kinder sollten den Stein bemalen und den Namen ihrer Mutter darauf schreiben. Eigentlich hat ihr Stein auch einen Platz, im Garten des Hospizes, Fluss der Erinnerungen nennen sie dort die schönen Namenssteine aller Verstorbenen. Aber manchmal – wie heute Nacht – kann sie nicht anders und nimmt ihn an sich. Warum? Sie vergleicht ihn dann mit den Edelsteinen der Schatzkammer in der Residenz. Auch schöne Steine. Aber ihrer ist schöner. Sie wird ihn morgen früh wieder zurücklegen. Sie weiß, Ruth kommt immer wieder in den Garten ins Hospiz und schaut nach, ob er noch da ist.

Den Engel Dankbar erkennt man daran, dass er auf einen kleinen Block schöne Wörter schreibt. Wörter aus allen Sprachen, die ihm begegnen und die ihm gefallen.  Als Kosovo-Albanerin war sie erst  wenige Tage in Deutschland. Sie wollte ihre Bahn nicht verpassen, S-Bahnhof Lohhof, und nahm die Abkürzung über die Gleise.  Leider sah sie den nahenden Zug viel zu spät. Ihr Mann war nun mit ihren drei Söhnen alleine. Er beherrschte die deutsche Sprache nicht und war arbeitslos. Eine schwierige  Zeit – auch für einen Engel.  Umso glücklicher war Dankbar,  als er sah, dass es Menschen wie Herr  Krasniqi gibt, selbst ein Immigrant, der heute bei der Caritas arbeitet und ihrem Mann und den Kindern nach ihrem Tod sehr half. Er betreute ihn in allen Belangen und Fragen nur dass er endlich wieder auf die Beine kann und stark genug wurde, um sein Leben hier in Deutschland zu händeln. Stark genug wurde, um für seine Söhne da zu sein und auch stark genug, um wieder eine neue Frau zu finden. Er hat es geschafft. Der Engel Dankbar hat nun Zeit. Zeit, um hier am Odeonsplatz zu sitzen und die Vielstimmigkeit der Menschen zu genießen. Viel Zeit, um die Sprachen der Welt zu lernen und die vielen schönen Wörter in seinen kleinen Block zu notieren.

Der Bleibe-Engel liebt München. Meistens zeigt er sich in Schwabing. Man erkennt ihn an seiner Kasperlefigur in der Hand. Warum ein Engel eine Kasperlefigur bei sich hat? Das ist eine lange Geschichte. Aber der Bleibe-Engel erzählt sie gerne: Damals, als seine Frau das dritte Kind bekam, wurde er arbeitslos. Wie sollten sie noch die Miete bezahlen? Wegziehen aus Schwabing, ihrem Stadtteil, indem sie schon seit mehr als zehn Jahren wohnten. Da lernten sie beim Kinderfasching in der Pfarrgemeinde St. Ursula Hanni Zöller kennen. Die ältere Dame organisierte das Fest für die Kleinen und sie spielte sogar selbst das Kasperletheater. Mehr als 40 Jahre wirkte sie in der Gemeinde, half ehrenamtlich, wo immer sie gebraucht wurde. Besonders hatte sie ein Herz für die Wohnungslosen und -suchenden. Als sie von den Schwierigkeiten der Familie hörte, besorgte sie ihnen eine neue Bleibe, bezahlbar und groß genug für alle. So hat der Bleibe-Engel es ihr zu verdanken, dass seine Kinder weiterhin in Schwabing aufwachsen konnten. Alle Jahre sind sie zum Kasperletheater von Hanni Zöller gegangen. Und als sie starb, hat sich die Familie selber ein Puppentheater gekauft, in Erinnerung an Hanni Zöller und das Glück, das sie ihnen bereitete.