The Legend of The Winged Boy

 

Wenn der letzte Barde verstummt
und alle Erzähler begraben.
Wenn die Schriften zu Staub geworden
und die Namen der römischen Herrscher vergessen sind,
wird man sich noch an Dich erinnern, Jüngling.

Noch in ihrer letzten Stunde
nennen sie Deinen Namen.
Und der Wind wird ihn tragen
durch Land und Zeit.
Mit  verwunderter Stimme
berichten sie von Deiner Geschichte
und können nicht sagen,
wer sie ihnen erzählte.

Sie versammeln sich Dich zu ehren,
und errichten Dir Denkmäler von nie gesehener Größe
und senden das Licht über den Wall,
um zu verkünden von Deiner Wiederkehr.

Es waren jene Tage, als die Römer herrschten.
Nur im Norden der Insel nicht.
Dort warfen sich noch Tapfere
gegen die Schilde der Eroberer.
Keine Lanze konnte ihren Willen brechen
und keine Münze die Stimme des Nordens erkaufen.
So ersannen die Römer die steinerne Schlange des Hadrian.
Über Tal und Hügel wand sich diese
von einer Küste zur anderen
und trennte Wiesen und Felder,
Menschen und Tiere,
trennte den Norden vom Rest.

Nicht wenige trotzten der Mauer,
ließen nichts unversucht
die Macht der Steine zu brechen.
Doch endeten die Helden, die törichten
in den Lanzen der Schergen,      
unbesungen und ohne Sinn.
In jenen Tagen blieben die Netze der Fischer leer
und die Saat der Bauern ohne Feld.
Einzig die Vögel des Himmels
wussten nichts von der Schlange Macht.

Die Zeiten des Kummers aber
sind auch die Zeiten der Wunder.
Erst entdeckten sie nur eine Feder,
dann ward sein Schatten gesehen
auf den Dächern der Hütten,
und eine Tochter des Nordens sah
wie er seine weißen Schwingen
bereitete zum Flug:
Ein stattlicher Mann mit Flügeln.
Sie gewann sein Vertrauen
und ihr Lächeln bekam schließlich
wissenden Glanz.
Nur ein paar Tage dauerte ihr Glück.
Dann ward er wieder verschwunden.
Doch der Glanz blieb und wollte
nicht weichen von ihren Lippen -
Nimmermehr.

(Musik + Szene: Die Frau und der Engel)

Schon war das Geschehen vergessen,
da gebar sie den Sohn ihrer Liebe
und die Kunde ging um im Land,
er wäre von sonderbarer Gestalt.
Druiden kamen zu sehen
und Kämpfer zu preisen
den neuen Spross.
Seine Flügel noch klein,
doch hegten sie Hoffnung
zu werden künftig
ein Volk des Himmels.

Geschützt vor den Blicken der Römer
wuchs er heran.
So manchen Spott
musst er ertragen.
Doch seine Liebe,
sie galt den Vögeln,
den Wolken und seiner Mutter.
Die musste erzählen
vom Vater, dem Fremden,
wieder und wieder.
Schon bald kam die Zeit
der ersten Versuche,
zu schwingen, zu springen
und sich zu erheben
von den Hügeln des Nordens.
Die Mutter musst gehen mit ihm
und sehen, wenn er mit schlagenden Flügeln
hinunter stürmte,
die Wiesen und Felder.
Noch siegten die Zweifel
und hielten am Boden ihn fest.

Doch bald schon wurden sie länger
die Schritte
und seine Flügelschläge gewannen an Kraft.
Zwei-, dreimal berührten die Füße den Boden noch,
dann trugen die Lüfte ihn erstmals empor.

So ward der Junge ein Kind des Himmels.
Und die Menschen des Nordens
hoben die Blicke zu sehen das Wunder
und fanden zurück zu Hoffnung und Stolz.
Einzig die Mutter, sie sorgt sich,
verbietet zu fliegen ihm
über den Wall ins verbotene Land.

Doch was sind mahnende Worte,
wenn der Wind dir Lieder singt
von der Fremde.
Und wie schnell ist vergessen
jedes gegebene Wort
beim Anblick endloser Weiten.
Und so obsiegt schließlich
die kindliche Neugier
und trägt den Jungen über den Wall,
ins feindliche Land.

Nicht einmal nur geht er das Wagnis ein.
Nein. Immer und immer wieder fliegt er hinüber.
Und Leichtsinn und Übermut
werden seine Gefährten.
Er zeigt sich den Römern im Fluge,
ja neckt sie und hält sie zum Narren.
Zu kühn um nicht eines Tages
entdeckt zu werden
von den Römischen Wachen.

(Musik + Szene: Römer versuchen den Jungen zu fangen)

Während die Stämme im Norden
den Lobgesängen der Barden lauschen,
senden die Römer schon Licht über den Wall.
Zum Zeichen, jener Jüngling sei gesehen,
der so dreist missachtet
der steinernen Schlange Gesetz.

Noch in der Nacht brechen Soldaten
durch die Türen der Hütten,
reißen den Jungen die Hemden vom Leib
und bedrängen die Mütter zu sagen,
wo der Geflügelte Junge zu  finden sei.
Doch kein Drohen und keine Pein
kann ihnen ihr Geheimnis entlocken.

So geht es Nacht um Nacht.
Doch Fortuna verwehrt ihre Gunst
den römischen Truppen.
Und die Lichtsignale,
sie verkünden den Menschen im Norden:
Der Geflügelte Junge, er ist immer noch frei!

Da - eines Tages sieht dieser am Hügel sitzend
einen groß gewachsenen Mann mit Flügeln.
Das Herz des Jünglings schlägt schneller,
wie lange nur musste er warten
zu finden einen von seiner Art.
Oder ist es der Vater gar?
Und als er sich nähert und leise grüßt,
winkt jener Geflügelte ihn wortlos heran.
Zu spät sieht der Junge
die falschen Federn im Flügelkleid
und gleich drauf fällt das ganze Kostüm herab
und zwei Römerhände ergreifen ihn
und lassen ihn nicht mehr los.
Da nützt kein wildes Schlagen der Flügel
und keine Bisse können den festen Griff lösen.
Der Junge, er ist in der Römer Gewalt.
In einen Käfig gezwängt, verschwindet er
hinter den Mauern eines Castells.

An jenem Tage wartet die Mutter vergeblich
auf ihren Sohn.
Und als es in den folgenden Nächte dunkel bleibt
auf dem Wall,
da wird ihr die Sorge zur festen Gewissheit:
Der Junge, er kommt nicht mehr heim.
Und mit der Mutter trauert das ganze Volk
nördlich des Walls.

Doch eines Nachts
erblicken sie entlang der Mauer
wieder die Lichtsignale.
Und zwei Bauern beschwören,
sie hätten den Jungen gesehen,
wie er in luftiger Höhe fliegt.
Immer wieder berichten die Menschen von ihm,
nicht nur am Wall des Hadrian.
Auch an anderen Orten bekommt man ihn zu Gesicht.
Dort, wo Mauern zwischen Menschen gebaut.
Dort, wo es an Hoffnung fehlt.
Dort fliegt der Junge durch Land und Zeit.

Wenn der letzte Barde verstummt
und alle Erzähler begraben.
Wenn die Schriften zu Staub geworden
und die Namen der römischen Herrscher vergessen sind,
wird man sich noch an Dich erinnern, Jüngling.

Sie versammeln sich Dich zu ehren,
errichten Dir Denkmäler von nie gesehener Größe
und senden das Licht über den Wall,
um zu verkünden von Deiner Wiederkehr.
Du Engel des Nordens.

Stefan Behr